Ja, ich wusste schon im Sommer letzten Jahres, warum ich mir einige der Erfahrungsberichte aufhebe. Reiner seinen Bericht behielt ich nun bis kurz vor Beginn der neuen Wanderung in meinem Repertoire. Ich glaube, wer Reiner´s Bericht liest, der weiß, was das Pilgern bedeutet. Dankeschön Reiner, für deinen wundervollen und inspirierenden Erfahrungsbericht!
Bericht
vom Pilgerprojekt
Gemeinsam pilgern – gemeinsam gegen Krebs
vom 28.04. – 04.05.2018
„Jeder nimmt den Weg anders wahr und
geht seinen Weg.“Pilgerweisheit
Ich werde keinen Pilgerreisebericht schreiben, sondern anhand meiner Wahrnehmungen reflektieren, was zum Gelingen des Projektes beigetragen hat. Dies werde ich an vier markanten Elementen erläutern.
-
Offenheit
Offenheit hat für mich mehrere Ebenen:
Offenheit gegenüber neuen Herausforderungen
Als ich die ersten Kommentare in der WhatsApp – Gruppe las, war ich erstaunt, mit welch hoher Begeisterung dem Pilgern entgegen gefiebert wurde. Ich fragte mich, wissen sie, welche unbekannten Herausforderungen da auf sie zu kommen würden? Es war ihnen bewusst, wie wichtig Bewegung für den Heilungsprozess ist. Zum Beispiel aus der Reha und manche haben sich Bewegungsgruppen angeschlossen. Darüber hinaus, hatte ich den Eindruck, dass wir durch die Erkrankung offen waren, für die verschiedensten neuen Herausforderungen.
Offenheit im Umgang mit der Krebserkrankung
Ebenfalls aus den Berichten der Whatsapp – Gruppe war ersichtlich, dass alle offen mit dem auch heute noch gesellschaftlichen Tabu Thema Krebs umgingen. Ich bin der Auffassung, dass dies den Gruppenprozess sehr förderlich war. Obwohl wir die Erfahrung gemacht haben, dass sich der eine oder die andere von uns abgewandt hatten. Sie konnten mit unserer Krankheit und uns nicht umgehen. Die denjenigen, die aber zu uns hielten – Familie (Ehepartner, Lebensgefährte und Kinder) und viel Freunden-innen, manche davon neu hinzugekommen – , auf die konnten wir uns verlassen. Dies wurde deutlich, durch die intensive Unterstützung und Interesse sowie Begeisterung unserer Pilgertour und Empfang am Ende des Weges.
Offenheit für soziale Netze
Wir haben uns nach der Diagnose Krebs und Therapie, nicht mit unserem Leiden abgefunden. Wir haben uns nach Außen geöffnet und haben uns darum gekümmert, dass wir die notwendigen zusätzlichen Therapien erhielten (zum Beispiel Krankengymnastik und Ergotherapie). Wir waren und sind bereit , uns u. a. Bewegungsgruppen anschließen, um unsere Heilung weiter voran zu bringen. Es entstanden sozial Netze. Was wiederum den Informationsfluss erhöhte und die Chance von dem Pilgerprojekt zu erfahren. An sozialen Netzen teilzunehmen und langfristig dabei zu bleiben, bedeutete für unseren Gruppenprozess die Fähigkeit der Kooperation gelernt zu haben und Kompromisse einzugehen. Diese beiden Fähigkeiten trugen zur positiven Entwicklung des Gruppenprozesses bei.
Offenheit für das Leben nach dem Krebs
Gleichwohl wir oft Zweifeln, durch Rückschläge in unserem Heilungsprozess, Befürchtungen vor der nächsten Nachuntersuchung, unangenehme Gefühle und Gedanken, was die Zukunft betrifft und immer wieder Stress und Ärger mit Ärzten, mit den Krankenkassen (Übernahme von Behandlungen, und Rentenversicherungsträgern (Ablehnung einer Reha), habe ich den Eindruck gewonnen, dass wir wohlwollend auf uns blicken können. Somit eine Distanz zu unseren Zweifeln herstellen können. Eine heitere Gleichmut kommt auf. Wir nehmen das Leben so an, wie es ist, tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem!
- Gelassenheit
Trotz aller Widrigkeiten, haben wir gesonnen unser Leben intensiver zu genießen. Wir haben uns unsere Lebensfreude bewahrt. Es ging eine unerschütterliche Heiterkeit von den Mädels aus. Ausdruck fand dies für mich in dem vielen herzhaften Lachen. Dazu gehörte, der achtsame Blick für die alltäglichen kleinen Dinge. Sehr schön hat dies Roswita ausgedrückt: Früher bin an einem Rapsfeld vorbei gegangen; habe vielleicht kurz gedacht: schön; heute bleibe ich stehen und lasse es auf mich wirken: die Schönheit, die Farben, der Geruch und die Bewegung der Blüten. ES war täglich wahrzunehmen: Stauen über die Schönheit der Natur. Dies berührt und Ergreift uns. Die Sinne öffnen sich. Wir sehen das Leben anders und neu. Wir gewinnen Vertrauen in unsere eigene heilende Kraft, der Natur und in unsere Mitmenschen. Fühlen uns eins mit der Welt.
- Verbundenheit
Wir sind auf der Suche. Mit der Institutionen Kirche, Vereine, Parteien, Gewerkschaften können wir nicht anfangen. Diese haben an Bindungsfähigkeit eingebüßt. Offenheit und Gelassenheit öffnen uns zur Verbundenheit zu unseren Mitmenschen und der Umwelt. Pilgern ist ein Weg dazu. Es ist erst mal nichts Spektakuläres was wir beim gemeinsames Pilgern vorfinden. Es sind einfache Erlebnisse , die unser Herz, unseren Geist und unsere Seele berühren. Zum Beispiel das gemeinsame herzhafte Lachen, der Austausch von unseren Lebenswelten, die Organisation von Getränken und Grillen, am Lagerfeuer sitzen. Die Naturelemente auf uns wirken lassen. Bestimmte Mythen, Legenden, Rituale, besonderer Schmuck prägen uns im Alltag. Wir versprechen uns vom Pilgern Heilung von Krankheiten.
Es bleibt eine Dimension der Welt, die wir uns rational nicht erklären können. Vielfach wird vom Pilgern als ein spiritueller Weg gesprochen. Der Begriff Spiritualität erfasst für mich nur ungenügend das Erlebte, das Wahrgenommene und das nicht rational Erfahrbare.
Ich möchte das oben Beschriebene mit dem Wort „religio“ beschreiben. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und ist aus dem Wortstamm Religiosität abgeleitet. Es bedeutet Verbundenheit von Allem mit Allem. Verbundenheit der Mitmenschen untereinander und mit der Natur. Nichts anderes als ein respektvoller Umgang mit den Mitmenschen, Akzeptanz der Vielfältigkeit, der Ehrfurcht vor dem Leben, achtsamer Umgang mit uns selbst und der Natur. Dies habe ich in unserer Pilgergemeinschaft erlebt, war für mich erfahrbar und hat mich „ergriffen“.
Es war bei unseren Pilgern wahrzunehmen, wie sich Seelenfrieden einstellte und ein Wir – Gefühl entstand = Gemeinschaft.
- Schweigezeit
Allmorgendlich begann nach dem Aufbruch eine dreißig Minütige Schweigezeit: Gedanken stürmen durch den Kopf. Begleitet mit negativen und positiven Gefühle. Durch das gleichmäßige Gehen, wird der Kopf langsam frei und Gefühle kommen zur Ruhe. Ballast wird über die Füße abgegeben. Die Sinne kommen in Takt. Körper, Geist und Seele kommen in Balance. Es entsteht Platz zur Wahrnehmungen der Umgebung. Intensiver wird der Geruch des Bodens, der Bäume, der Pflanzen, der Gesang der Vögel und die Anwesenheit der Mitpilger wahrgenommen. Der Tag konnte in Achtsamkeit beginnen.
Ich empfand die Schweigezeit als das verbindende Element für die oben genannten anderen Punkte.
Fazit
Dass ich als einiger Mann in der Pilgergruppe war, spielte keine besondere Rolle. Ich wurde primär als Mensch gleichwertig und gleichberechtigt in der Gemeinschaft akzeptiert. Pilgern ist eine wundervolle Kraftquelle für den Alltag. Es können die physischen und die mentalen Grenzen ausgetestet werden. Dafür gab es reichlich Gelegenheit. Es freut mich, dass einige Pilgerinnen das Pilgern für sich entdeckt haben und in Erwägung ziehen, die Schuhe für weitere Pilgertouren zu schnüren.
Mein Dank geht an die Berliner Krebsgesellschaft, der Jakobusgesellschaft Brandenburg – Oderregion e. V., HTM und den vielen anderen Spendern, die durch ihre Unterstützung das Pilgerprojekt ermöglicht haben.
Ohne die Organisation des Projektes durch Annelie, die Unterstützung dabei von Gela und Bärbel und meine herzhafte, liebevolle und lachende Pilgerschwestern, wäre das positive Ergebnis nicht zustande gekommen: Ein Wort fasst für mich das einmalig Erlebte und Erfahrende zusammen:
DANKBARKEIT.
Buen Camino!
Ultreia!
Reiner